Sport. Geschlecht. Gesellschaft im Wandel – zwischen Aufbruch und Backlash
Schon zum Auftakt wurde deutlich: Vielfalt, Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit sind keine Nischenthemen, sondern zentrale Querschnittsaufgaben – sportpolitisch wie gesellschaftlich. Gerade in Zeiten, in denen demokratische Grundwerte infrage gestellt werden und Frauen sowie marginalisierte Gruppen weiterhin auf begrenzte Räume stoßen, braucht es klare Haltungen. Der organisierte Sport versteht sich dabei als aktiver Motor für Teilhabe und Gleichberechtigung. Trotzdem gelingt der Wandel innerhalb der Verbandsstrukturen häufig nur in kleinen Schritten, insbesondere bei Entscheidungspositionen, die weiterhin ungleich besetzt sind. Dabei zeigt der aktuelle Sportentwicklungsbericht, dass Sportvereine mit Frauen im Vorstand deutlich resilienter und erfolgreicher darin sind, Engagierte zu gewinnen und zu binden. Daher appellierte Michaela Röhrbein, Vorständin Sportentwicklung des DOSB, mit einem Augenzwinkern: „Frauen sind nicht nur Teil der Lösung. Sie sind die Lösung“.
Moderatorin Mara Pfeiffer, die durch den ersten Veranstaltungstag führte, rückte deshalb immer wieder folgende Leitfrage in den Mittelpunkt: Wie können Rollenbilder aufgebrochen und der Sport als Spiegel der Gesellschaft zukunftsfähig und gerecht gestaltet werden?
Wenn Unterschiede stark machen: Keynote zu gesellschaftlicher Spaltung und Resilienz
Ein besonderer Höhepunkt war der Impuls von Dr. Gilda Sahebi, Ärztin, Journalistin und Autorin. Sie beleuchtete eindrücklich die Dynamiken von Polarisierung, gesellschaftlicher Spaltung und sozialen Ungleichheiten – sowohl in Deutschland als auch global – und welche Verantwortung daraus für Sport, Zivilgesellschaft und gesellschaftliches Engagement erwächst. Ihr Appell: „Polarisierung zieht Mauern in eine Gesellschaft ein. Diese Mauern machen es unmöglich, die Realität anderer Menschen zu sehen oder zu verstehen.“ Aktiv zuhören, verstehen, handeln und Räume schaffen, in denen Unterschiedlichkeit nicht als Bedrohung, sondern als Stärke erlebt wird, seien entscheidend für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ergänzend zum Fachforum boten an beiden Tagen praxisorientierte Workshops die Möglichkeit, die andiskutierten Themen in Kleingruppen zu vertiefen – immer mit dem Ziel, konkrete Impulse für die tägliche Arbeit in Vereinen und Verbänden mitzunehmen.
„Polarisierung zieht Mauern in eine Gesellschaft ein. Diese Mauern machen es unmöglich, die Realität anderer Menschen zu sehen oder zu verstehen.“ - Dr. Gilda Sahebi, Ärztin, Journalistin und Autorin
Auf dem Spielfeld und darüber hinaus: Perspektiven aus der Praxis
In der Podiumsdiskussion berichteten Praktiker*innen aus Verbänden und Vereinen von ihren aktuellen Erfahrungen mit Aufbruch und Backlash. Moderiert von Katja Lüke (DOSB), schilderte Fabienne Michel (DFB-Schiedsrichterin) die Fortschritte in der Schiedsrichter*innen-Community der dritten Liga, wies aber zugleich auf den weiteren Entwicklungsbedarf für die Repräsentation von PoC und FLINTA-Personen hin. Safa Semsary (Berliner Fußballverband) stellte das „Ready-Set-Coach“-Programm vor, das Mädchen und FLINTA-Personen beim Einstieg in den Amateurfußball unterstützt und Vorbilder sichtbar macht. Angelika Ribler (Sportjugend Hessen) berichtete vom Umgang mit dem hessischen Genderverbot und betonte, wie wichtig klare Haltungen in aktuellen Debatten sind. Meike Henning (Sportamt Darmstadt) hob die wachsende Bedeutung von Demokratieförderung in Vereinen hervor und unterstrich, dass mehr Frauen in Vorständen sichtbar werden, aber weiterhin kontinuierlich daran gearbeitet werden muss. Die Beiträge zeigten eindrücklich, wie Austausch, Sensibilisierung und klare Haltung die Basis für eine inklusive Sportpraxis bilden.
Neue Strukturen, neue Stärke: Delegierte beschließen wegweisende Anträge
Am zweiten Tag des Fachforums tagte die Konferenz für Frauen, Vielfalt und Geschlechtergleichstellung unter der Versammlungsleitung von Michaela Röhrbein, DOSB-Vorständin Sportentwicklung des DOSB. Zur Begrüßung richtete und DOSB-Vizepräsidentin Verena Bentele authentische Worte an die Delegierte der Mitgliedsorganisationen: „Ich habe einen persönlichen Wunsch: Für die nächsten Jahre wünsche ich mir für uns, dass wir aus Zusammentreffen wie heute mit Inspiration und einem starken Zusammenhalt hinaus gehen. Wichtig ist das Gefühl, dass wir etwas erreicht haben. Denn was wir alle gut gebrauchen können, ist Empowerment und Rückenwind, um unsere Themen in den Strukturen des organisierten Sports und in der Gesellschaft voranzutreiben.“
„Für die nächsten Jahre wünsche ich mir für uns, dass wir aus Zusammentreffen wie heute mit Inspiration und einem starken Zusammenhalt hinaus gehen. Denn was wir alle gut gebrauchen können, ist Empowerment und Rückenwind, um unsere Themen in den Strukturen des organisierten Sports und in der Gesellschaft voranzutreiben.“ - DOSB-Vizepräsidentin Verena Bentele
Mit viel Energie, klaren Haltungen und spürbarer Motivation diskutierten die Delegierten über mehrere Anträge, welche die künftige Arbeit der Konferenz entscheidend prägen werden. Beschlossen wurde eine Amtszeitbegrenzung auf zwei Wahlperioden für das Amt der Sprecher*innen der Konferenz, sowie die Einführung von Stellvertreter*innen für die Sprecher*innen – ein Modell, das Entlastung bringt, die Flexibilität erhöht und niedrigschwellige Einstiege in Strukturen eröffnet. Mit über 80 Prozent der Stimmen wurde der Antrag deutlich bestätigt. Ebenfalls wegweisend: Die Strukturänderung der DOSB-Delegation im Deutschen Frauenrat. Künftig gibt es eine Personalunion aus Sprecher*innen, deren Stellvertreter*innen und der Delegation in den Frauenrat. Zusätzlich wird eine neue Sprecher*in Deutscher Frauenrat als ehrenamtlich Delegationsleitung eingeführt. Dadurch können Kosten gesenkt und Abstimmungsprozesse vereinfacht werden. Vor allem aber ermöglicht die Personalunion eine noch größere Durchschlagskraft, Dank die Synergieeffekte, die sich aus der Zusammenlegung der beiden Ämter ergeben. Neben den Änderungen an der Geschäftsordnung wurde auch beschlossen, ab nächsten Jahr in einer AG partizipativ eine neue Strategie für das Themenfeld zu erarbeiten – ein Signal für Aufbruch und Mut zur Veränderung.
Sein neues Ziel: Oberbürgermeister von Augsburg werden
Sie hätten der letzte Höhepunkt seiner großartigen internationalen Karriere werden sollen. Doch anstatt im Wildwasserstadion von Penrith, bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney (Australien) Austragungsort der Kanuslalom-Wettbewerbe, durch den 320 Meter langen Kanal zu manövrieren, wird Hannes Aigner wegen einer Verletzung die Weltmeisterschaften, die am vergangenen Sonntag begannen und bis zum 4. Oktober dauern, am Livestream verfolgen. „Angesichts der Zeitverschiebung von acht Stunden weiß ich noch nicht genau, welche Rennen ich live sehen werde. Aber ich freue mich darauf, von daheim mitzufiebern. Ich weiß ja, unter welchem Druck die Athletinnen und Athleten gerade stehen, und es ist okay für mich, das nur aus der Ferne zu verfolgen, anstatt diesen Druck selber zu verspüren“, sagt er.
Der 36-Jährige, das wird im Gespräch rasch deutlich, hat sich abgefunden mit der Tatsache, dass er sich nicht als internationaler Wettkämpfer von seinem geliebten Kanusport verabschieden kann. Das selbst gewählte Karriereende, das er in der vergangenen Woche offiziell bekannt gegeben hatte, fühlt sich richtig an für den langjährigen Team-Deutschland-Athleten, der seine größten Erfolge mit den bei den Olympischen Spielen 2012 in London und 2021 in Tokio gewonnenen Bronzemedaillen im Kajak-Einer feiern durfte. Beim Weltcupfinale Anfang September im Eiskanal seiner Heimatstadt Augsburg hatte er noch das komplette Rennprogramm bestritten. „Damals stand noch nicht fest, dass ich meine Karriere beenden würde. Natürlich hätte ich mich gern gebührend von den Fans und der Konkurrenz verabschiedet, aber im Nachhinein bin ich dankbar dafür, mein letztes Rennen vor heimischem Publikum bestritten zu haben“, sagt er.
Seine Stelle als Sportsoldat läuft zum Jahresende aus
Die Entscheidung, sich aus dem Leistungssport zurückzuziehen, hat Hannes Aigner selbstverständlich nicht ad hoc getroffen. Dazu ist er ein viel zu bedächtiger Mensch; einer, der sich schon seit längerer Zeit Gedanken darüber gemacht hatte, womit er die Lücke füllen könnte, die der endgültige Ausstieg aus dem zu einem wichtigen Lebensinhalt gewordenen Kanu reißen würde. „Mir ist bewusst, dass es nicht einfach werden wird, etwas zu finden, das mir so viel Freude macht und mich gleichzeitig so herausfordert und beruflich erfüllt wie der Leistungssport“, sagt er. Aber weil sein Dienstverhältnis als Zeitsoldat in der Sportfördergruppe der Bundeswehr zum Jahresende abläuft, war ihm klar, dass er seine Karriere nicht fortführen kann.
„Leistungssport macht man ganz oder gar nicht, und es würde einfach keinen Sinn ergeben, wenn ich ohne die finanzielle Absicherung als Sportsoldat weiter alles in den Sport investieren würde“, sagt der Vater zweier drei und sechs Jahre alter Söhne. Körperlich traue er sich zwar durchaus noch zu, mit der Weltelite mitzuhalten. „Aber noch einmal drei Jahre bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles durchzuziehen, mit ausgeprägter Reisetätigkeit und ohne finanzielle Sicherheit, das wollte ich mir und der Familie nicht mehr antun.“ Also weihte er, bevor er die Nachricht in die Öffentlichkeit hinaustrug, wichtige Wegbegleiter wie die Familie, Freunde, Verein, Verband und Sponsoren in seine Entscheidung ein. „Das Echo, das ich bekommen habe, war durchweg positiv. Natürlich bedauern viele, dass ich nicht mehr für Deutschland antrete, aber das Verständnis für den Schritt ist groß.“
Klein dagegen ist die Sorge darum, Hannes Aigner könnte künftig unter Langeweile leiden müssen. Schließlich hat der gebürtige Augsburger ein gewaltiges neues Ziel vor Augen. Am 8. März kommenden Jahres möchte er bei der Kommunalwahl gegen Amtsinhaberin Eva Weber (CSU) antreten, um Oberbürgermeister der mit gut 300.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Bayerns zu werden. Es ist sein nächster großer Wettkampf, den er im Team der Freien Wähler bestreiten wird. Ein politisch interessierter Mensch sei er schon lange, ein politisches Amt wäre Neuland für ihn. „Selbstverständlich habe ich großen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber ich lebe schon sehr lange in Augsburg, bin nah an den Menschen und habe einige Ideen dafür, wie wir die Stadt voranbringen können“, sagt er. Dabei sehe er keineswegs den Sport als sein wichtigstes Fachgebiet. „Dank unserer Kinder beschäftige ich mich auch mit wichtigen Themen wie Kindergarten, Schule und Familie“, sagt er.
Wie werde ich Trainer*in im Sport?
Fast jeder Sportverein in Deutschland sucht Trainer*innen.
Sie sind das Rückgrat des Systems, ohne sie gäbe es kein Training, keine Kurse, keinen Sport. Weder für alt noch für jung, weder im Breiten- noch im Spitzensport.
In Deutschland besitzen mehr als eine halbe Million Menschen eine gültige Trainer- oder Übungsleiter-Lizenz. Das ist viel, aber: Dem gegenüber stehen 28 Millionen Mitgliedschaften in Deutschlands 86.000 Sportvereinen. Der Bedarf ist also hoch.
Trainer*innen kommt eine absolute Schlüsselrolle zu. Sie leiten nicht nur Trainingseinheiten, sondern sind auch Vertrauenspersonen, Persönlichkeitsentwickler und Motivatoren.
Dabei werden sie vor allem von zwei Dingen angetrieben: Spaß und der Wille, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Und - auch das zeigen Daten - sie sind im Durchschnitt zufriedener mit ihrem Leben als der Rest der Bevölkerung.