„Wenn wir an der Startlinie stehen, dürfen wir keine Existenzängste haben“
Als am vergangenen Sonntagmittag im DFB-Campus in Frankfurt am Main die Athlet*innenvollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ihre Vertretung wählte, war Pia Greiten nur digital zugeschaltet. Weil die 28-Jährige vom Osnabrücker Ruder-Verein aktuell in Warendorf einen Bundeswehrlehrgang absolviert, war ihr die Teilnahme vor Ort nicht möglich. Die Vorsitzendenwahl musste deshalb am Montagnachmittag ebenfalls digital abgehalten werden. Aber nachdem Pia Greiten, die bei den Olympischen Spielen in Paris Bronze mit dem Doppelvierer gewann und in dieser Saison als einziges Mitglied des Paris-Quartetts im Skull-Paradeboot verblieben war, vom neunköpfigen Gremium als Nachfolgerin von Beachvolleyball-Ass Karla Borger (36/Stuttgart) bestätigt wurde, stand sie dem DOSB in ihrem ersten Interview in neuer Funktion Rede und Antwort.
DOSB: Pia, du hast interessante Tage hinter dir. Am Samstag bist du zur neuen Präsidentin von Athleten Deutschland gewählt worden, seit Montag bist du nun auch Vorsitzende der DOSB-Athlet*innenkommission. War das dein Ziel, und kannst du schon einschätzen, was da auf dich zukommt?
Pia Greiten: Ich bin mit der Zielsetzung in das Wochenende gegangen, mein Engagement für die Athlet*innen auszubauen. Dass ich nun beiden Gremien vorsitze, freut mich natürlich, aber ich interpretiere meine Aufgabe nicht als Einzelkämpferin. Wir sind ein starkes Team, das verschiedene wichtige Perspektiven und große Expertise einbringt. Mir ist schon klar, dass die kommenden Monate und Jahre - in beiden Gremien bin ich für vier Jahre gewählt - intensiv, spannend und arbeitsreich werden. Mit den Themenfeldern, die nun auf mich zukommen, habe ich mich schon im Vorhinein beschäftigt. Ich bin gut vorbereitet.
Woher rühren dein Faible für Engagement für andere Menschen und das Interesse für sportpolitische Themen?
Angefangen hat das in der Jugend, als ich persönliche Erfahrungen zum Thema frauenspezifisches Training gesammelt habe, die sich auf meine Gesundheit ausgewirkt haben. Damals wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, Dinge aktiv zu verändern. Was sportpolitische Themen angeht, möchte ich mir die für die neuen Ämter notwendige Tiefe in den kommenden Wochen mithilfe der Kommission und Athleten Deutschland erarbeiten. Aber dadurch, dass ich in den vergangenen Jahren schon als Mitglied des Vereins aktiv war und beispielsweise zum Thema Gleichstellung auch vor dem Sportausschuss des Bundestags sprechen durfte, habe ich mich mit Sportpolitik durchaus regelmäßig beschäftigt. Der Antrieb dahinter ist, dass ich sehe, dass Veränderungen notwendig sind, und ich dabei mithelfen möchte, diese zu erreichen.
Als oberste Lobbyistin für die Athlet*innen im deutschen Sportsystem: Welche Veränderungen sind besonders dringend notwendig?
Wir müssen ein System schaffen, das für die Athlet*innen gemacht ist, in dem es Mitspracherecht und Gestaltungsmöglichkeiten auf allen wichtigen Themenfeldern gibt. Finanzielle und materielle Absicherung ist dabei genauso ein Anliegen wie Schutz vor sexueller oder psychischer Gewalt. Unser Fokus muss darauf liegen, die Stimmen der Athlet*innen zu bündeln, um immer wieder deutlich zu machen, was wir brauchen.
Wenn du sagst, dass ein solches System geschaffen werden muss, bedeutet das, dass der Status Quo dich nicht zufriedenstellt. Was sind deine wichtigsten Kritikpunkte am bestehenden System?
Noch immer leiden Athlet*innen aus dem olympischen, nicht-olympischen, para- und deaflympischen Bereich zu häufig unter Existenzsorgen, weil sie nicht ausreichend finanzielle Mittel haben, um sich auf ihren Sport konzentrieren zu können. Das trägt nicht dazu bei, die optimale Leistungsfähigkeit abrufen zu können. Nur wenn Sicherheit da ist, ist Topleistung möglich. Im Bereich Safe Sport sind, nicht zuletzt durch die Implementierung des Safe Sport Codes im DOSB Ende vergangenen Jahres, wichtige Schritte gegangen worden. Aber auch hier braucht es noch deutlich mehr Verbindlichkeit, damit Verbände und Vereine sich dazu verpflichten, ein sicheres Umfeld für ihre Mitglieder zu schaffen. Freiwilligkeit reicht da nicht aus. Hier denke ich auch an ein starkes Zentrum für Safe Sport, das im Frühjahr kommen soll.
Eine Frage, die seit Jahren diskutiert wird, ist die, welchen Leistungssport wir in Deutschland wollen. In seinem Entwurf für ein neues Sportfördergesetz fokussiert sich das Bundeskanzleramt stark auf messbare Leistung in Form von Medaillen, während Athleten Deutschland und der DOSB auch weiche Faktoren wie mentale Gesundheit und die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Sport einbeziehen möchten. Wo stehst du in dieser Debatte?
Der Wert des Sports lässt sich definitiv nicht nur an Medaillen ablesen. Ich finde, wir müssen deutlich stärker herausarbeiten, welche Bedeutung er für die Gesellschaft hat, Stichwort Vorbildcharakter. Ich bin überzeugt davon, dass sich zum Beispiel mentale Gesundheit und Leistungsbereitschaft nicht voneinander abgrenzen lassen, sondern gemeinsam gedacht werden müssen. Nur wenn es uns Athlet*innen ganzheitlich gut geht, werden wir die beste Leistung bringen können. Die Frage, wie wir mit Leistungsdruck umgehen, ist zum Glück in den Vordergrund gerückt. Aber da gibt es noch vieles zu optimieren.
„Ohne funktionstüchtige Sportanlagen ist alles nichts“
DOSB: Benjamin, Sportstätten sind für Vereine unverzichtbar. Was macht einen guten Sportplatz, Schwimmbad oder Halle für die Mitglieder aus?
Dr. Benjamin Haar: Eine Sportanlage ist für Mitglieder dann gut, wenn sie möglichst immer zu den eigenen Trainingszeiten genutzt werden kann und in einem ordentlichen Zustand ist. D.h. die Sportflächen weisen keine Schäden auf und die Sanitäranlagen sind sauber und funktionstüchtig. Die meisten Vereinssportler haben da keine besonderen Ansprüche.
Wie erleben Vereine den aktuellen Zustand der Sportstätten? Wie wichtig sind ökologische Modernisierung, Klimaanpassung und Barrierefreiheit aus Sicht eines Sportvereins und welche Herausforderungen entstehen dadurch?
Viele Sportanlagen sind nun fast 50 Jahre alt. Mit kleineren Sanierungsmaßnahmen konnte bisher ein ordentlicher Zustand einigermaßen erhalten werden. Durch notwendige energetische Sanierungsmaßnahmen als Beitrag zum Klimaschutz oder Anpassungsmaßnahmen wie z.B. ein zusätzlicher Hitzeschutz entsteht aktuell ein sehr großer Handlungsbedarf, den viele Vereine wirtschaftlich nicht stemmen können. Dazu kommt, dass die formellen Anforderungen wie baurechtliche Auflagen usw. stark zugenommen haben. Vor allem Vereinsverantwortliche im Ehrenamt sind da schnell überfordert.
Wie sieht die Situation in Feuerbach aus? Kannst Du uns ein aktuelles Beispiel der Sportvereinigung nennen?
Unsere vereinseigenen Gebäude sind 30, 40 und 50 Jahre alt. Also eigentlich alle über ihrer Lebenszeit. Besonders in der vereinseigenen Dreifeldhalle aus den Siebzigern hat sich eine immenser Sanierungsstau aufgebaut, der einer Investition in Millionenhöhe bedarf. Das ist für uns eine besondere Herausforderung, wenn man zeitgleich auch noch durch eine wachsende Nachfrage an anderer Stelle Neues schaffen muss. Wir sind hierbei auf öffentliche Förderung angewiesen. Ohne dies bräuchten wir eine gänzlich andere Beitragsstruktur.
„Wenn man Druck genießen kann, dann beginnt es, Freude zu machen“
Der Countdown zu den Olympischen Spielen in Norditalien läuft, in der vergangenen Woche wurde die 100-Tage-Schallmauer bis zum Start der vom 6. bis 22. Februar angesetzten Wettkämpfe durchbrochen. Prächtige Winterspielstimmung ist bei Linus Straßer in der neuen Folge des „Team Deutschland Podcast“, die an diesem Mittwoch auf teamdeutschland.de erscheint, allerdings noch nicht auszumachen. Die Erklärung dafür ist vielschichtig, wie der Skirennfahrer vom TSV 1860 München im Gespräch mit Paul Burba, Podcast-Host von den Team D Studios, erläutert. Und sie liegt keinesfalls darin begründet, dass der Technikspezialist die olympische Idee nicht liebt. „Im Gegenteil, ich bin ein großer Olympiafan. Mein Traum wären Winterspiele in Kooperation von München und Innsbruck“, sagt er.
Was ist es dann, das dem Vater zweier Kleinkinder die Vorfreude auf den Saisonhöhepunkt verhagelt? Zum einen stößt sich Linus Straßer daran, dass die Wettkämpfe in fünf verschiedenen Clustern ausgetragen werden, die so weit voneinander entfernt liegen, dass ein Miteinander mit Sportler*innen aus anderen Disziplinen, das Olympische Spiele von Weltcups oder Weltmeisterschaften unterscheidet, kaum möglich sein wird. „In Cortina, wo das Deutsche Haus eingerichtet wird, gibt es immerhin ein kleines Athletendorf, ebenso in Mailand. Aber in Bormio, wo die Wettkämpfe der Alpin-Männer stattfinden, wohnen wir in normalen Hotels. Wir reisen kurz vorher an, trainieren, haben unseren Wettkampf und reisen wieder ab. Das wird sich anfühlen wie ein normaler Weltcup“, fürchtet er.
Werden die Winterspiele wie ein gewöhnliches Weltcuprennen sein?
Dabei hatte sich Linus Straßer bei der Vergabe der Spiele nach Italien durchaus darauf gefreut, olympisches Flair vor der eigenen Haustür erleben zu können. „Es werden meine dritten Spiele. 2018 in Südkorea gab es auch kein Dorf und keine Stimmung. 2022 in Peking hatten wir immerhin ein kleines Dorf, das einen Eindruck davon vermittelt hat, wie Olympia sein könnte, allerdings war das in der Corona-Zeit“, sagt er. Deshalb habe er gehofft, in Italien Olympische Spiele in Reinform erleben zu können. „Ich hoffe auch weiterhin auf das Beste, aber ich stelle mich darauf ein, dass es wie ein normales Weltcuprennen sein wird.“
Dazu kommt, dass ihm der eher langsame und anspruchsarme Kurs in Bormio weniger zusagt. „Eine steilere, anspruchsvollere Piste würde mir eher taugen, aber es ist verständlich, dass die Präparierung der Strecke bei Olympia anders ist, mit weniger Wasser und entsprechend weniger vereist. Bei den Spielen sind Nationen am Start, die mit alpinen Skirennen nicht allzu viel am Hut haben. Da ergibt es Sinn, vorsichtiger zu sein, damit alle heil runterkommen. Gibt ja kein schönes Bild ab, wenn einer nach dem anderen runterpurzelt“, sagt er. Warum allerdings die Männer nicht in Cortina starten, wie es die Frauen tun, versteht Linus Straßer nicht. „Dort ist der Slalomhang anspruchsvoller, es ist schade, dass wir in Bormio fahren müssen.“
