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Der harte Kampf um den großen Traum

Die Frage nach dem Warum hat sie sich gar nicht erst gestellt. „Ich bin ein positiv denkender Mensch und würde mich als mental starke Person einschätzen. Natürlich ist es grundsätzlich blöd, dass es passiert ist, aber ich habe es akzeptiert und die Herausforderung angenommen. Es ist eine Planänderung, die nehmen wir jetzt eben mit“, sagt Ramona Hofmeister, und wie sie es sagt, klingt es weder besonders trotzig noch betont lässig, als müsse sie sich selbst erst davon überzeugen. Es klingt genauso, wie es gemeint ist: Als Beschreibung einer Situation, die sie sich nicht ausgesucht hat, aber unter Kontrolle behalten kann. Und das ist bemerkenswert, schließlich droht gerade der Verlust des Ziels, auf das sie in den vergangenen Jahren hingearbeitet hat.

Es war Freitag, der 19. September, als Deutschlands beste Race-Snowboarderin im Training in Zermatt (Schweiz) stürzte. Ein Sturz sei das gewesen, wie er jedem Snowboarder hunderte Male passiere, analysierte Bundestrainer Paul Marks hinterher. Ramona Hofmeister erinnert sich daran, dass sie weggerutscht ist. „Das Board hat sich gelöst, dann habe ich von unten einen Schlag bekommen, der mir den gesamten rechten Knöchel zusammengestaucht hat.“ Auf der Abfahrt in der Gondel untersuchte eine Physiotherapeutin den Fuß, „da hatten wir noch Hoffnung, dass es nur eine Bänderverletzung ist.“ Noch am selben Tag wurde die 29-Jährige in ihre Heimat Bad Reichenhall transportiert, das Warten am Wochenende war eine Qual, dann gab am Montag die MRT-Untersuchung Aufschluss: Fraktur des Sprunggelenks, nicht konservativ zu behandeln, eine Operation war notwendig.

Seit Anfang Oktober ist sie in der Reha bei Marcus Hirschbiel

„Natürlich war das im ersten Moment ein Schock für das gesamte Team“, sagt Andreas Scheid, Sportdirektor beim Dachverband Snowboard Germany, „die Ramona ist sicherlich eine unserer größten Medaillenhoffnungen.“ Nun allerdings ist völlig unklar, ob die Titelkandidatin vom WSV Bischofswiesen in circa 100 Tagen, wenn am 6. Februar 2026 die Olympischen Spiele in Italien eröffnet werden, im Teamhotel in Livigno dabei sein kann. Andreas Scheid nutzt allerdings vollkommen bewusst die Gegenwartsform - und ist damit im Einklang mit seinem Präsidenten. „Wenn es eine schafft, von so einer Verletzung rechtzeitig zurückzukommen, dann ist es die Ramona“, sagt er.

Ramona Hofmeister freut sich über derlei Wertschätzung. Dass sie kämpfen kann, hat sie schon oft bewiesen. Die vielen Genesungswünsche aus dem Team, die regelmäßigen Krankenbesuche, die Unterstützung aus dem Verband beim schnellen Rücktransport und in der Rehabilitation, die sie in Schönau am Königssee bei ihrem Athletiktrainer Marcus Hirschbiel Anfang Oktober gestartet hat: All das unterstreicht den Wert, den die Athlet*innensprecherin für die gesamte Snowboard-Germany-Mannschaft besitzt. Auch die liebevolle Umsorgung durch ihren Freund, ihre Eltern und Geschwister, die zum Beispiel den Fahrdienst übernehmen, weil sie nicht Autofahren darf, weiß sie zutiefst zu schätzen. Unangenehm ist ihr das alles dennoch. „Ich mag es gar nicht, anderen zur Last zu fallen. Ich gebe lieber, als dass ich nehme“, sagt sie.

Das Bewusstsein dafür, nun jedoch mal nicht alles geben zu können, sondern Hilfe annehmen zu müssen, hat die Polizeibeamtin, die 2018 ihre Ausbildung zur Polizeimeisterin abgeschlossen hatte und seit Februar dieses Jahres Hauptmeisterin ist, mittlerweile aber entwickelt. „Ich habe mir bewusst keine Prognose von den Ärzten geben lassen. Ich bin ein ungeduldiger Mensch und möchte mich nicht unnötig stressen, wenn die Heilung länger dauern sollte als angenommen“, sagt sie. Den Fuß werde sie länger brauchen als nur bis zum Ende ihrer aktiven Karriere, „also werde ich alles dafür tun, dass er wieder vollständig gesund wird, bevor ich ein unkalkulierbares Risiko eingehe. Ich höre in mich hinein, wie er auf Belastungen reagiert, und dann werden wir sehen, ob es reicht.“

Vereint für die Olympiabewerbung

Eine Woche vor dem Bürgerentscheid am 26. Oktober in der bayerischen Landeshauptstadt haben Münchens Sportvereine von der Breite bis in die Spitze ihre Unterstützung signalisiert und gezeigt, dass der organisierte Sport hinter der Olympiabewerbung steht.

Beim gemeinsamen Aktionswochenende, initiiert vom Bayerischen Landessportverband (BLSV) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und unterstützt durch die Landeshauptstadt München, war in vielen Vereinen die Botschaft „Vereint für München“ sichtbar.

Sowohl Breitensport-, also auch Amateur- und Profivereine beteiligen sich bis einschließlich Dienstag (21. Oktober) am Aktionsspieltag und zeigen bei ihren Spielen, Turnieren und Wettkämpfen ihre Unterstützung für die Bewerbung. Die Bandbreite reicht vom Handball, über Fußball, Judo, Turnen, Volleyball, Basketball bis hin zu Wintersportarten wie Eishockey und Biathlon.

„Hinfallen und wieder aufstehen, das gehört zum Leistungssport wie zum Leben“

Wuppertal ist der Ort, dem die besondere Ehre zuteilwird, den letzten Kampf von Anna-Maria Wagner zu erleben. Mit der TSG Backnang tritt die 29-Jährige, die in der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm 2021 in Budapest und 2024 in Abu Dhabi Judo-Weltmeisterin war, am 26. Oktober in der Unihalle Wuppertal zum Final-Four-Turnier um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft an. „Im Idealfall sind es noch vier Kämpfe, die ich natürlich alle gewinnen möchte“, sagt die zweifache Bronzemedaillengewinnerin (Einzel und Mixed-Team) der Olympischen Spiele 2021 in Tokio. Im Halbfinale wartet TSV Hertha Walheim, das zweite Semifinale bestreiten JC 66 Bottrop und JSV Speyer. Das Finale findet am selben Tag statt. Wie sie sich auf ihren Abschied vorbereitet hat und wie sie die Höhen und Tiefen ihrer eindrucksvollen Karriere einordnet, darüber spricht die in Weingarten geborene Spitzenathletin im DOSB-Abschiedsinterview.

DOSB: Anna-Maria, du hast dein Karriereende bereits im Frühjahr bekannt gegeben. War das im Rückblick die richtige Entscheidung, weil du dich so besser vorbereiten konntest, oder hat es dich angestrengt, so viel über das Thema reden zu müssen?

Anna-Maria Wagner: Für mich kann ich als Fazit ziehen, dass es gut war, dass ich ausreichend Zeit hatte, mich zu verabschieden, und dass nicht alles auf einen Schlag geballt kommt. Es gab für mich allerdings auch keine Alternative zu der Entscheidung, denn ich kann solche persönlich sehr einschneidenden Dinge nicht für mich behalten. In dem Moment, in dem ich gespürt habe, dass das Thema Abschied immer größer für mich wurde, wollte ich mit offenen Karten spielen und es kommunizieren.

Wie hast du denn die vergangenen Monate erlebt? Verändert sich etwas am Mindset als Athletin, wenn man weiß, dass es die letzten Karrieremonate sind?

Spätestens seit der Militär-WM Ende Juni in Warendorf, wo ich in meinem letzten internationalen Wettkampf noch einmal Gold gewinnen konnte, genieße ich es sehr, dass es nun dem Ende zugeht. Ganz besonders spüre ich das im Training. Jahrelang hatte ich das Privileg, dass mir als Kaderathletin Trainingspartnerinnen zur Verfügung standen, um mich perfekt vorbereiten zu können. Jetzt hat es einen Rollentausch gegeben, ich übernehme immer häufiger die Rolle der Partnerin, und ich empfinde das als eine sehr gute Gelegenheit, schon jetzt ein wenig von dem zurückgeben zu können, was ich bekommen habe.

Noch ist es sportlich allerdings nicht ganz vorbei, du hast am kommenden Sonntag noch das DM-Finale mit deinem Verein vor dir. Hast du schon Bilder im Kopf, wie du dir diesen letzten Kampftag vorstellst?

Natürlich wünsche ich mir, dass ich all meine Kämpfe gewinne und maximal zum Teamerfolg beitragen kann. Ich hoffe aber vor allem, dass ich den letzten Kampftag genießen kann. Ich habe mich mit anderen Sportlerinnen und Sportlern ausgetauscht, die ihre Karrieren beendet haben, und die haben mir dazu geraten, das Ganze bestmöglich zu genießen. Deshalb versuche ich mit einer gewissen Lockerheit daranzugehen. Ansonsten habe ich aber nichts geplant. Ich gehe davon aus, dass ich vom Verband verabschiedet werde, und ich werde mich auch darauf vorbereiten, ein paar Worte zu sagen. Alles Weitere lasse ich auf mich zukommen.

Für viele Athlet*innen, die ihre Karriere beenden, ist die größte Hürde der Fakt, dass plötzlich der Lebensinhalt fehlt, über den man sich am stärksten definiert hat. Diesen Prozess hast du nach den Olympischen Spielen 2021, als du im Zuge deiner post-olympischen Depression viel über dieses Thema nachgedacht hast, schon einmal durchlaufen. Hast du dadurch jetzt weniger Sorge vor dem berüchtigten schwarzen Loch?

Tatsächlich habe ich davor gar keine Angst, und das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass ich diese Themen vor ein paar Jahren schon ausführlich in meinen Gedanken bewegt habe. Ich weiß, dass ich nicht nur die Anna-Maria bin, die eine gute Leistungssportlerin ist, sondern auch abseits der Matte ein wertvoller Mensch sein kann. Mein Karriereende wird kein extremer Cut sein, ich habe mich Stück für Stück daran gewöhnen können, dass sich das Kapitel Leistungssport dem Ende zuneigt. Das war eine gute Vorbereitung und hilft mir extrem, gut damit umzugehen.

Glaubst du, dass es im Kampfsport noch einmal schwieriger ist, den Sport aufzugeben, weil es kaum möglich ist, das Element des Kampfes Frau gegen Frau durch etwas anderes zu ersetzen? Wettkampf ist auch auf anderer Ebene möglich, aber ein Kampf im Wortsinn nicht.

Das stimmt, dennoch glaube ich nicht, dass ich das Kämpfen vermissen werde. Ich habe mein gesamtes Leben dem Judo gewidmet, ich habe es geliebt und würde es immer wieder so machen. Aber jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich merke, dass es reicht und andere Dinge für mich wichtiger werden. Die Wettkämpferin in mir werde ich allerdings nicht hinter mir lassen. Diesen Ehrgeiz, in allem, was ich tue, sehr gut und möglichst die Beste sein zu wollen, bekommt man nicht mehr aus mir heraus. Und ich glaube auch, dass es mir guttut, Ziele zu haben und dafür zu kämpfen. Ich schließe auch nicht aus, dass ich wieder in einen Verein gehe und vielleicht eine andere Sportart ausprobiere. Aber zunächst geht meine gesamte Energie künftig in mein Studium und den Sprung ins Berufsleben. Ich studiere BWL und Hotelmanagement und möchte in dieser Richtung auch künftig hauptberuflich tätig sein. Mein nächster Kampf ist also gewissermaßen ich gegen die Uni…

Woran hast du gemerkt, dass es Zeit ist, die Karriere zu beenden?

Daran, dass ich nicht mehr bereit bin, dauerhaft über die Komfortzone hinaus zu trainieren, jeden Tag 150 Prozent zu geben und alles auf diesen Sport zu setzen. Das Feuer brennt nicht mehr so. Außerdem ist es ein Privileg, komplett selbstbestimmt diese Entscheidung treffen zu können. Ich bekomme von mir selbst gespiegelt, dass es die richtige Entscheidung ist, denn es fühlt sich einfach gut an.